Montag, 26. Dezember 2005

Idioten

Eine junge Frau eilt durch die Gänge eines Supermarktes. Sie schiebt ihren Eink au fswagen vorweg. Noch schnell etwas für heute Abend einkaufen, es ist ja schon kurz nach
sieben Uhr, Samstgabend. Dann will sie sichs gemütlich machen. Sie hatte eine anstrengende Woche. So denkt sie,als sie an der Schlange vor der Kasse angelangt ist. Natürlich ist nur noch eine Kasse geöffnet. "Was solls", denkt sie. Auf einmal stehen zwei Typen hinter ihr. Ein unangenehmer Geruch, eine Alkoholfahne, steigt ihr in die Nase. Automatisch geht sie einen Schritt vor. "Hey Süße", hört sie, "du lässt uns doch bestimmt vor!".Sie dreht sich um. Sie halten zwei Flaschen Korn in den Händen.
"Nein", sagt sie, "ich habe es auch eilig", und drehte sich wieder um.
Sie spürt die Typen ganz dicht hinter sich und horcht. Erst getuschel, dann immer lauter.
"Scheiß Emanzen, blöde Schlampe." Hitze steigt in ihr auf. Sie mag sich nicht umdrehen, versucht noch ein Stück weiter nach vorne zu gehen.
Aber da ist kaum noch Platz. Ganz dicht stehen sie jetzt hinter ihr, drücken ihre Flaschen in ihren Rücken. Und schon wieder. "Warte erstmal, wenn wir hier draußen sind, was wir dann mit dir machen, blöde Schlampe."
Hilfesuchend schaut sie zu den Leuten vor ihr in der Schlange, zum Kassierer. Keiner sagt etwas, gucken sie nur mitleidig an. Sie hat angst.
Als sei bezahlt hat, stopft sie ihre Sachen in ihren Rucksack und eilt nach draußen.
Sie rennt los, über den Parkplatz in Richtung Straße. Auf einmal, quietschende Reifen neben
ihr. Im Auto sitzen die Typen, auf der Rückbank drei weitere betrunkene Männer.
Ihr bleibt fast das Herz zu stehen. Sie bekommt weiche Knie.
Dann aber gibt der Fahrer gas und mit durchdrehenden Reifen verschwinden sie wieder.
"Idioten!", denkt sie und Tränen steigen ihr in die Augen.

Über das Fasten

Eines Neujahrsmorgen wache ich auf und da war dieses Gefühl.
Irgendetwas sollte anders werden. Das alte Jahr lag nur förmlich noch schwer im Magen.
Hatte eine verantwortungsvollere Position in der Agentur bekommen, arbeitete viel,
schlang zwischen zwei Meetings eine halbwarme Pizza oder immer gleich schmeckendes Curry vom indischen Lieferservice hastig herunter.
Abends ließ ich mich völlig erschöpft auf das Sofa fallen und war viel zu träge, um
irgendetwas zu unternehmen. Jetzt merkte ich meinen trägen schweren Körper.
Ich fühlte mich unbeweglich und ungesund. Mit diesem Gfühl stand ich also auf und auf
einmal war da dieses Wort "Fasten"! Mir fiel ein, dass ich darüber ein Buch besaß.
Ich laß die ersten Seiten und war begeistert. Was da stand, war quasi genau das, was mir wohl im letzten Jahr verloren gegangen war.
"Befreit von den Ablenkungen und Zwängen des Alltags, wird eine Rückbesinnung auf das Wesentliche möglich. Fasten ist ein uralter Weg zur inneren Erkenntnis und Freiheit".
Also los gings. Ich hatte den januar frei, mein Resturlaub, das war günstig.
Nachdem ich jegliche Nahrung aus meinem Kühlschrank verbannt hatte, fühlte ich mich schon viel besser. Jetzt standen nur noch die Sachen in der Küche, die ich für meine
drei Wochen Fasten brauchte. Obst und Gemüse für den Entlastungstag. Ein halbes Pfund Leinsamen, zwei Kisten stilles Wasser, Kräutertees, verschiedene Obstsäfte und Gemüsesäfte, Gemüsebrühe, Sauerkrautsaft, Zitronen und Glaubersalz.
Nachdem ich den Entlastungstag und den Abführtag, über den ich nicht viel sagen will, außer dass es eine Erfahrung ist, die man kein zweites Mal erleben will, erfolgreich überstanden
habe, fühlte ich mich befreit.
Ich ging viel spazieren, entdeckte viele Orte in meiner unmittelbaren Umgebung, für die ich sonst kein Auge hatte, las tolle Bücher, trank viel Tee, traf mich mit Freunden,
die ich lange nicht mehr gesehen hatte (bewußt nur zum Spaziergang oder bei mir zum Tee),
trank artig meine Brühe und ab und zu Gemüse oder Obstsaft.
In der zweiten Woche kam der Durchhänger. Ich wollte Essen gehen, hatte Appetit, kein Hunger. Aber jetzt aufgeben? Nein, das ging nicht. Ich machte also weiter.
Was soll ich sagen - ich habe es nicht bereut. Es war der sinnvollste Urlaub, den ich je gemacht hatte. Ich fühlte mich trotz des Verzichts gestärkt für den Alltag.
Heute habe ich eine gesündere Lebenseinstellung.
Ich achte mehr auf mich und meinen Körper, ernähre mich bewusster und nehme mir in meinem anstrengenden Berufsleben öfters Auszeiten für mich.

Wo ist die Zeit geblieben?

Schon wieder ist ein Jahr herum. Wo ist bloß die Zeit geblieben?, fragen sich meine Kollegen. "Es kann doch nicht sein, dass jetzt schon wieder Weihnachten ist!"
Ich fahre im Bus nach Hause. Der Bus ist voll. Menschen stehen dicht an dicht, mit Einkaufstüten in den Händen.
Es ist die vierte Adventswoche. Alle gucken ein wenig gestresst. Ich lasse meine Gedanken schweifen. Wie war es wohl vor 200, 300 Jahren? Vor 1000 Jahren? War es da nicht alles viel friedlicher, ruhiger? Es gab keine riesigen Kaufhäuser, wo Verkäuferinnen auf Kommando ihr Verkaufslächeln auflegen.
Diese Konsumgesellschaft von Heute, so etwas kannten die Menschen von damals nicht.
Sie lebten kürzer, wurden nicht so alt, aber vielleicht kam ihnen die Zeit länger vor als uns heute.
Wir werden vielmehr von äußeren Einflüssen gelenkt, abgelenkt.
Läuft uns deshalb die Zeit, unser Leben davon?
Als ich Kind war, war ein Tag endlos, es gab so viel zu erleben.
Der Tag war genau eingeteilt. Frühstück, Schule, Pausen, Mittagessen, Hausaufgaben, Spielen gehen (eine wunderbare Zeit), Sesamstrasse, Abendessen, Gute-Nachtgeschichte, Schlafen.
Vielleicht, so denke ich, ist das des Rätsel Lösung! - Mehr Kind sein.
Vielleicht kommt dann auch die Zeit wieder. Den Tag bewußter einteilen, mehr schöne
Sachen machen, die nichts mit Geldausgeben zu tun haben.
"Neumarkt" höre ich die Stimme des Busfahrers aussagen. Erschreckt springe ich auf!
Mist! Ich muss doch noch ein Geschenk für Tante Sophie kaufen.

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Zuletzt aktualisiert: 30. Mär, 16:40

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